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Interview mit Prof. Dr. med. vet. Iris M. Reichler zum Welpenhandel

Die Leiterin der Abteilung für Kleintierreproduktion am Tierspital Zürich im Gespräch mit VIER PFOTEN über die aktuelle Situation im Bereich des Welpenhandels

28.6.2021

Im Interview mit VIER PFOTEN spricht Prof. Dr. med. vet. Iris Reichler über ihren Arbeitsalltag im Tierspital Zürich, über die Probleme, die der illegale Welpenhandel mit sich bringt und mögliche Verbesserungen.

VIER PFOTEN: Vielen Welpenkäufern und -käuferinnen ist der Unterschied zwischen einer seriösen Zucht und der blossen Vermehrung nicht bekannt. Worin liegt der Unterschied und was ist das Schlimme an Vermehrung?  

Prof. Dr. med. vet. Iris Reichler: In seriösen Zuchten werden vor dem Zuchteinsatz Vorsorgeuntersuchungen an den Elterntieren durchgeführt. Dies ist für die Zuchtzulassung unerlässlich. Zudem ist die Anzahl der Würfe pro Mutter sowie pro Zwinger begrenzt. Von den Züchter*innen werden Fähigkeitsnachweise oder Ausbildungen verlangt und die Zuchtstätten werden kontrolliert, wobei sogenannte Wurfabnahmen durchgeführt werden.

Leider halten sich aber die Vermehrer*innen nicht an diese Vorgaben und werden je nach Land auch nicht entsprechend kontrolliert, was zum Teil tierschutzwidrige Haltungsbedingungen zur Folge hat.  Teilweise müssen die Tiere in fabrikartiger Käfighaltung oder Hinterhofhaltung leben und es fehlt an sozialer und medizinischer Betreuung. Die Muttertiere werden oftmals als regelrechte Gebärmaschinen ausgenutzt.

Nationalrätin Martina Munz (SP), fordert in ihrer neuen Interpellation analog zu vielen EU-Ländern, ein Minimalalter von 15 Wochen, um Welpen in die Schweiz importieren zu dürfen. Wie stehen Sie dazu? Sehen Sie es als wichtig an, dass Welpen bis zur 15. Woche bei ihrer Mutter bleiben? 

Ich halte es für wichtig, dass die Hunde nicht vor dem Alter von 15 Wochen dem Transportstress ausgesetzt werden. Welpen sind immunologisch unreif und sind gegen die wichtigsten Infektionserreger, mit denen sie beim Transport zusammen mit anderen Hunden in Kontakt kommen, nicht geschützt. Mit 15 Wochen hingegen könnten Welpen bereits zweimal gegen Staupe, ansteckende Leberentzündung (HCC) sowie Parvovirose und auch gegen Tollwut geimpft worden sein. Dies stellt zwar immer noch keinen hundertprozentigen Schutz gegen die gefürchteten Hundeseuchen dar, verringert das Risiko für schwere Krankheitsverläufe aber deutlich.

Bei jüngeren Welpen führt die verzögerte Organentwicklung und -reifung dazu, dass bei längeren Transportwegen und Umgebungsstress, die Tiere unterzuckern. Wir sehen diese Welpen bei uns im Tierspital häufig zwei bis sieben Tage nach Einreise in die Schweiz und in der Regel sind sie dann schwer krank. Da unsere Nachbarländer für die Einfuhr der Welpen ein Mindestalter von 15 Wochen plus Tollwutimpfung vorschreiben, bietet sich die Schweiz als Absatzmarkt für Tierverkäufe aus der Hundevermehrung geradezu an, da ein Welpe hier bei der Einfuhr lediglich 8 Wochen alt sein muss.

Zudem ist die Gewinnspanne beim Verkauf der Welpen in die Schweiz für die Hundevermehrer und -vermehrerinnen so auch deutlich grösser.

 

Details Interpellation

Man liest immer wieder, dass Vermehrerwelpen unzureichend sozialisiert sind und dies zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann.  Wie können sich solche Probleme zeigen?  

Vielleicht wird dies am deutlichsten, wenn man sich anschaut, was ein guter Züchter oder eine gute Züchterin mit den Welpen alles macht, um sie auf das Leben vorzubereiten: von kontrollierten Ausflügen, über Kinderkontakt, bis hin zur Umgebungssozialisierung wird alles geübt. In Hinterhöfen oder Hundefabriken hingegen haben die Welpen keinerlei Sozialkontakt zu Menschen, sie kennen keine Geräusche, sind sich Kinder oder andere Haustiere nicht gewöhnt, alles ausserhalb ihrer Zwingerbox ist ihnen fremd. Sie sind daher komplett überfordert beim Wechsel in die neue Umgebung und sehr stressanfällig.

Die Schweiz ist in vielen Kantonen rigoros bei der Euthanasie illegal importierter Welpen, sofern der Besitzer nicht bereit ist, für Quarantäne- und/oder Rückführungskosten aufzukommen. Wie ist Ihre Meinung hierzu? Ist die Schweizer Praxis empfehlenswert oder gäbe es Alternativen?

Eine strenge Bestrafung nicht nur der Händler und Händlerinnen, sondern auch der Welpenkäufer und -verkäuferinnen könnte eine potenzielle Käuferschaft abschrecken. Meines Erachtens gibt es keine allgemeine Schweizer Praxis, da sich das Vorgehen kantonal sehr unterscheidet. Ich halte eine Ausschaffung ins Ausland mit einem unbegleiteten Rückflug, wie sie von einzelnen Kantonen praktiziert wird, nicht für tierschutzgerecht.

Ich plädiere für die Schaffung einer zentralen Quarantänestation mit Sozialisierungsmöglichkeiten. Eine solche zentrale Einheit hätte den Vorteil, dass Ressourcen geschont werden könnten, der Zeitaufwand für die Sozialisierung gesamthaft günstiger kommt und die beschlagnahmten Hunde in Gruppen gehalten werden könnten.

Die erforderliche Quarantänezeit sollte grundsätzlich erst nach einer fundierten Risikoabwägung erfolgen. Das heisst, die Möglichkeit eines Kontakts zu Wildtieren und insbesondere die Anzahl der Tollwutfälle im Herkunftsland sollten Grundlage für den Entscheid sein, ob ein Kontakt mit einem tollwutinfizierten Tier möglich war und deshalb ein Seuchenverdacht ausgesprochen wird und somit eine Quarantäneverbringung gerechtfertigt ist. Tollwut ist eine sehr ernstzunehmende Seuche und ein Import in die Schweiz muss dringend vermieden werden. Auch wenn wir die Einschleppung der Tollwut über Fledermäuse nicht verhindern können, so sollten wir dennoch alles tun, um uns vor dem Import der Seuche über den Heimtierhandel zu schützen. Daher ist bei möglichem Tollwutkontakt eine Quarantäne zwingend notwendig, ihre Dauer sollte sich nach dem aktuellen Wissenstand richten [1].

Empfehlenswert wäre z.B. folgendes Vorgehen: Gleichzeitig mit der Verbringung des Hundes in die Quarantäne sollte die Tollwutimpfung vorgenommen werden. Bei Welpen unter 12 Wochen sollte eine Wiederholungsimpfung mit 12 Wochen gemacht werden, und nach einem positiven Titernachweis sollte eine Beobachtungszeit von 30 Tagen folgen. Dieses evidenzbasierte Vorgehen erlaubt die Erkennung von infizierten Hunden, da diese klinischen Symptome zeigen, bevor sie in der Lage sind den erforderlichen Antikörpertiter aufzubauen. Eine Quarantänezeit von 30 Tagen nach dem Antikörpernachweis ist aufgrund der gesundheitlichen Gefahr und der wirtschaftlichen Konsequenzen bei Verlust des Tollwutfrei-Status der Schweiz sicher zu rechtfertigen und bei korrekter Gestaltung der Quarantänezeit meines Erachtens auch aus Tierschutzsicht vertretbar.

Wie lauten Ihre persönlichen Empfehlungen, um mit der Problematik rund um den Welpenhandel fertig zu werden?  

Aufklären und verdeutlichen, dass alle, die einen Welpen aus dem Welpenhandel kaufen, unabhängig ob legal oder illegal, oder sich den Welpen liefern lassen, damit Tierleid und Tierquälerei unterstützen.

Was sind, Ihrer Ansicht nach, die Gründe, warum trotz Aufklärungskampagnen immer noch Welpen aus dem illegalen Welpenhandel gekauft werden?  

Es ist so einfach und es wird der Käuferschaft so leicht gemacht an einen Welpen zu kommen. Die einen blenden das damit verbundene Tierleid einfach aus. Denn es sind nur Wenige, die tatsächlich nicht über die Aufklärungskampagnen erreicht werden.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders nah gegangen ist?  

Einen? Nein, leider sind es sehr, sehr viele! Da gibt es die Hunde, die für die Quarantäne ausgeschafft werden müssen, die gesund aber allein in einer Box sitzen müssen und sich doch so nach Zuneigung und Kontakt sehnen. Und dies nur, weil sich die Besitzerfamilie, die den Welpen doch angeblich so liebt, nicht im Vorfeld über die Einfuhrbestimmungen informiert hat. Oder die schwer kranken Welpen, die sich nicht auf den Beinchen halten können, denen so übel ist, dass sie erbrechen müssen und deren After wegen dem permanenten massiven Durchfall feuerrot ist. Und dann gibt es auch noch die, die entweder die schwere Erkrankung nicht überstehen oder deren Besitzer nicht bereit ist, die Konsequenzen für sein Handeln zu bezahlen, weshalb das Tier dann eingeschläfert wird.

Wie verarbeiten Sie persönlich diese Erfahrungen und wie schützen Sie sich?  

Ich verarbeite diese Eindrücke dadurch, dass ich mich mit all meiner Kraft für die Aufklärung gegen den Welpenhandel einsetze. Ich habe die Hoffnung, dass ich damit Tierleid vermeiden kann.

Auch die Elterntiere der Vermehrerwelpen sind Opfer des Welpenhandels. Sie vegetieren oftmals in unhaltbaren Zuständen vor sich hin, ohne jegliche Zuwendung, medizinische Versorgung oder auch nur ausreichend Nahrung. Die Mortalitätsrate ist hoch. Konnten Sie bereits Erfahrungen mit solchen Elterntieren sammeln? 

Zum Glück nein, aber Sie müssen nur online auf die Nothilfeseiten gehen, um zu sehen, was da passiert: Es werden Rassehündinnen, fünf bis acht Jahre alt angeboten, bei denen offensichtlich am Gesäuge zu erkennen ist, dass sie als Gebärmaschinen verwendet wurden. Sie haben vermutlich, bis sie ausrangiert werden, auf engem Raum ohne jeglichen Sozialkontakt gelebt, sie sind komplett verängstigt, erschrecken bei jedem Geräusch und sind mit Recht dem Menschen gegenüber sehr misstrauisch - es ist einfach nur grausam. Tierschützer und Tierschützerinnen versuchen zu helfen und diese armen Wesen zu vermitteln, aber so eine Haltung über mehrere Jahre kann nie mehr ganz gut gemacht werden. Verursacher sind die Welpenkäufer, denn ohne Nachfrage gäbe es auch keinen Tierhandel und keine Gebärmaschinen!

Vielen Dank an Frau Reichler für das ausführliche Interview und die Einblicke in ihren Alltag. 

[1] T.G. Smith, A.R. Fooks, S.M. Moore et al., Negligible risk of rabies importation in dogs thirty days after demonstration of adequate serum antibody titer, Vaccine, https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2021.03.064

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