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Tierheim-Adoption: Herausforderungen, Vorurteile und die Verantwortung von neuen Besitzern 

Im Interview mit VIER PFOTEN sprechen Nadja Brodmann und Rommy Los vom Zürcher Tierschutz zum Thema Adoption

17.10.2024

In diesem Interview sprechen Nadja Brodmann und Rommy Los vom Zürcher Tierschutz über häufige Gründe für die Abgabe von Tieren, die Situation von sogenannten «Post-COVID»-Hunden und ob Tiere aus Tierheimen tatsächlich «beschädigt» sind. Ausserdem erklären sie, warum der Adoptionsprozess strenge Auflagen erfordert, welche Vorbereitungen zukünftige Tierbesitzer treffen sollten und wie wichtig es ist, jedem Tier ein dauerhaftes Zuhause zu geben.

Welches sind die häufigsten Gründe dafür, dass ein Tier letztlich im Tierheim abgegeben wird?

Oft werden Argumente vorgebracht, wie z.B. Wohnungs- oder Jobwechsel, Familienzuwachs oder auch Allergien. Aber in vielen Fällen sind die Besitzer einfach mit dem Tier überfordert, wenn z.B. ein Hund nicht allein sein kann oder eine Katze nicht aufhört, in der Wohnung zu markieren. Verlorenes Interesse mag auch oftmals ein Beweggrund sein, doch das gibt niemand gerne zu. Auch Zeitmangel bei betreuungsintensiven Tieren kann zur Abgabe eines Tieres führen. Und manchmal sind Todesfälle oder Unverträglichkeiten zwischen Haustieren der Grund.

Sind Tiere aus dem Tierheim «beschädigt» bzw. «Mängelexemplare»?

Nein, ein Tierheim spiegelt in vielen Bereichen die Tiere der Gesellschaft wider. Einzelne Hunde oder Katzen, die gestern noch in der Nachbarschaft lebten, sind morgen womöglich schon in einem Tierheim. Natürlich werden manche Tiere abgegeben, weil sie vom Verhalten her schwierig sind, aber die meisten gelangen aus ganz anderen Gründen zu uns. Gewisse Tiere kommen in stark vernachlässigtem Zustand zu uns, zum Beispiel mit verfilztem Fell, Zahnfleischentzündungen oder schlechtem Ernährungszustand. Sie werden zuerst rundum versorgt, bevor wir sie zur Vermittlung freigeben.

Wie sieht eigentlich ein normaler Tag im Leben eines Tierheimhundes aus?

Als erstes werden die Hunde auf einer unserer Wiesen in den Auslauf gelassen oder sie dürfen mit unseren freiwilligen Hundespaziergängern in den angrenzenden Wald gehen. In dieser Zeit werden die Boxen gereinigt und das Futter vorbereitet. Sobald die Hunde zurück sind, werden sie gefüttert und gepflegt, bei Bedarf erhalten sie Medikamente oder Trainings. Über Mittag achten wir auf eine lange Ruhepause, bevor sie am Nachmittag nochmals raus in den Wald oder Auslauf dürfen.

Rommy Los gemeinsam mit einer Tierärztin beim Zürcher Tierschutz

Rommy Los, gemeinsam mit einer Tierärztin beim Zürcher Tierschutz

Wie lange bleibt ein Hund durchschnittlich im Tierheim bis zur geglückten Vermittlung?

Die Zeitspanne ist sehr unterschiedlich. Hunde ohne Verhaltensauffälligkeiten und von umgänglichen Rassen lassen sich bereits innerhalb von ein bis zwei Monaten vermitteln. Andererseits gibt es Hunde, die mehr als ein Jahr auf ein neues Zuhause warten müssen. Oftmals handelt es sich dabei um Hunde, die schwierig im Verhalten sind oder zu einer Rasse gehören, die nicht leicht im städtischen Raum zu vermitteln ist.

Worin unterscheiden sich die «Post COVID»-Hunde (also Hunde, die während der COVID-19 Zeit angeschafft und danach im Tierheim abgegeben wurden) von den «normalen» Hunden in der Betreuung und Vermittlung?

Wir haben festgestellt, dass viele dieser «COVID-Hunde» Verhaltensprobleme mitbringen oder schlecht sozialisiert wurden. Das liegt einerseits wohl daran, dass während der Coronazeit keine Hundekurse besucht werden konnten. Andererseits war in dieser Zeit der Kontakt mit anderen Menschen und somit auch mit Hunden nur sehr eingeschränkt möglich. Als Folge davon benötigen viele dieser Hunde ein intensives Training und es dauert oft länger, bis sie vermittelt werden können. Für sehr schwierige Vierbeiner müssen wir Personen mit viel Hundeerfahrung suchen.

Bemerken Sie eine Zunahme an Beschlagnahmungen von Tieren durch die Veterinärbehörden/Zollbehörden?

Die zahlenmässige Entwicklung im Bereich Beschlagnahmungen durch das Veterinäramt können Ihnen nur die Behörden selbst beantworten. Denn jene Tiere, die wir durch das Veterinäramt erhalten, machen lediglich einen kleinen Anteil der Gesamtzahl an Beschlagnahmungen aus.

Meerschweinchen

Meerschweinchen beim Zürcher Tierschutz

Gibt es «unvermittelbare» Hunde? Falls ja, was geschieht mit diesen?

Wir haben in einzelnen Fällen «unvermittelbare» Hunde. Das kann auf der einen Seite medizinisch oder auf der anderen Seite vom Verhalten her begründet sein. In beiden Fällen erlösen wir die Tiere. Zum Glück geschieht das jedoch nur sehr selten. Vorher setzen wir über unser Netzwerk alle möglichen Hebel in Bewegung, um einen Ausweg zu finden. Das kann auch mal eine Umplatzierung in ein anderes Tierheim sein.

Aus der Sicht von vielen Adoptionswilligen erscheinen der Vermittlungsprozess eines Tierheims bzw. die damit verbundenen Konditionen und Auflagen oft viel zu streng.

Im Ausland sind viele Tierheime ganzjährig überfüllt. In dieser Situation bedeutet jedes Tier, dass vermittelt werden kann, eine Erleichterung – egal an welchen Platz. Da fehlt die nötige Zeit, um alle Fragen rund ums neue Zuhause zu klären. 
In der Schweiz ist die Situation nicht so dramatisch. Wir stehen daher nicht unter Druck, die Tiere schnellstmöglich zu vermitteln. Unser Ziel ist stattdessen, dass jedes Tier einen Lebensplatz erhält – es soll zum letzten Mal in seinem Leben vermittelt werden und nicht nach einiger Zeit wieder in irgendeinem Tierheim landen. Wir legen deshalb grossen Wert darauf, Menschen zu finden, die den Bedürfnissen des Tieres bestmöglich gerecht werden. Insbesondere bei Hunden muss auch die Mensch-Tier-Beziehung stimmen.

Ebenfalls hört man auch immer wieder das Argument mancher Interessenten: «Man solle doch froh sein, wenn ein Tier ein gutes Zuhause findet. Wieso muss ich dann noch eine hohe Vermittlungsgebühr bezahlen?» 
Wie setzt sich eine Vermittlungsgebühr zusammen und deckt sie alle Kosten ab, die der Hund im Tierheim bereits verursacht hat?

Unsere Einnahmen durch die Abgabe- und Vermittlungsgebühren decken noch nicht mal die Kosten der medizinischen Versorgung ab, sondern bestenfalls 10% der Gesamtkosten eines Tierheimes.

Welche «Vorarbeit» sollten Adoptionswillige leisten, bevor sie sich konkret auf ein Tier bei Ihnen bewerben? 
Was sollte bereits vor der ersten Kontaktaufnahme mit Ihnen geklärt sein?

Adoptionswillige müssen sich die Frage stellen, ob sie bereit sind die Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen. Um das beurteilen zu können, müssen sie sich im Vorfeld darüber informieren, wie lange die gewünschte Tierart lebt, welche Bedürfnisse sie im Alltag erfüllen müssen, welche Kosten zu erwarten sind und welcher Zeitaufwand erforderlich ist. Und das nicht nur für die nächsten paar Wochen, in denen alles noch neu und spannend ist, sondern für die gesamte noch zu erwartende Lebensdauer des Tieres – auch während der Ferien oder im Krankheitsfall. Wer sich all dies gründlich überlegt hat und zum Schluss kommt, die Anforderungen zu erfüllen und das nötige Fachwissen zu besitzen, ist gut vorbereitet für eine Tieradoption.

Vielen Dank an Nadja Brodmann und Rommy Los für das ausführliche Interview und das Teilen ihrer Erfahrungen. 

 

Rommy Los und Nadja Brodmann

Rommy Los und Nadja Brodmann

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